Published On: 18. Juli 2023Categories: Aktuelles, News

Krisen haben einen zumeist einen festen Ablaufplan, auch wenn es sich nicht so anfühlt. Die Abläufe zu kennen, bedeutet aber auch Aussteigen und/oder helfen zu können.

Abgesehen von unvorhersehbaren Schicksalsschlägen und Naturkatastrophen, haben Katastrophen und Krisen regelhaft eine Menüabfolge, bei denen alle Beteiligten jederzeit aussteigen könnten. Ähnlich wie bei jedem Restaurant, könnten wir gehen, aber nun sind wir doch schon hier, andere sind doch auch hier, warum soll ich denn zuerst gehen, ich habe aber reserviert… Erinnern Sie sich noch wie Mensch ist? Sicherheit, da wird sich ein anderer drum kümmern. 

So unterschiedlich und entwickelt Mensch zu sein glaubt, so ähnlich sind wir in unseren Abläufen. Die Gründe für diese Gemeinsamkeiten sind noch immer unklar, die einzelnen Phasen hingegen, bei Katastrophen und Krisen klar definiert.

Auch dieser Gedanke sind keine Breaking News, in einem sehr alten und dickem Beststeller, wurden schon die die sieben Plagen der Endzeit und auch die zehn Vorboten der Apokalypse beschrieben. Übrigens stehts mit der Option zur Abkehr, aber auch hier nutzen der Notausgänge – Fehlanzeige.

Die Dreifaltigkeit des Misslingens steht zur Wahl im Menü. Als Vorspeise etwas Unachtsamkeit, Nachlässigkeit oder Stress. Im Hauptgang werden Ungläubigkeit an einer Auswahl von Eitelkeiten und Begehrlichkeiten serviert und zum Abschluss noch ein Quäntchen, was kann ich denn tun und nun ist es sowie so zu spät.

Mit einem geschärften Blick können Sie den Tisch verlassen, einfach aussteigen und wachsam sein. Wie bei fast jedem Essen, läuft im Hintergrund die Melodie. Zunächst ein leiser Summton, hin zu einem bedrohlichen Summen.

Krisen-Menü (7 Phasen und ein paar Zerquetschte)

Roller Coaster Modell nach Hurst/Shepard 1986

1. Vorahnung

Zumeist weiß Mensch, dass Gefahr im Verzug ist. Ein Unwohlsein oder ungutes/unangenehmes Gefühl breitet sich aus.

Die gewohnten Bahnen verlassend werden negative Veränderungen und Abweichungen bemerkt. In Gedanken an das wohl kommende Ereignis, werden mögliche Szenarien und Reaktionen durchgespielt. Berechnungen und Kalkulationen sind die Basis für das frühe Krisenplanspiel. Das Wunderwerk Gehirn hat sich beruhigt, das Problem wurde gemeistert – ist doch auch alles gar nicht so schlimm, wird schon, passiert wahrscheinlich sowieso nicht. Gedacht und vergessen, der Apparativ ist eingenommen.

2. Schock

Gewissheit, das Schlimmste ist tatsächlich eingetroffen. Trotz des Planspiels eine Überraschung, dabei hatte unser Systemmanager das Problem doch schon erledigt. Je ungewohnter die Situation ist, desto mehr Zeit brauchen wir, um die Situation zu erfassen und zu realisieren. Zunächst übernimmt das Reptiliengehirn und macht Denken unmöglich. Wir brauchen Zeit. In richtig harten Zeiten, übernimmt das Reptiliengehirn nun auch noch die Selbstkasteiung und beschimpft den Gehirnbesitzer wie ein Rohrspatz. Als hätte man nicht genug Probleme…

„Zeit die Suppe auszulöffeln.“

3a. Trauer (wenn es einen Grund gibt)

Trauern ist schlichtweg kaum noch En Vogue. Dennoch ist Trauern eine wichtige und heilende Funktion. Trauerwege sind von Kultur zu Kultur und von Mensch zu Mensch verschieden. Ursprünglich entstammt das Trauerjahr, aus dem römischen Reich und galt ausschließlich für Witwen, alle anderen hatten neun Tage zum Trauern. Bei den Navajo-Indianern maximal vier Tage, danach durfte der Verstorbene weder erwähnt, noch über die Trauer geredet werden. Im Judentum waren drei Tage Weinen und sieben Tage Klagen sowie dreißig Tage Trauer üblich.

Welcher Trauerweg nun auch passend ist, Trauernde sollen einen Schutzraum, vor wenig hilfreichen Gesprächen oder Anforderungen durch die Außenwelt haben. Trauermodelle sind meist parallel, einerseits Abschied und andererseits der weitergehende Lebensentwurf.

Neben der nachvollziehbaren Trauer um einen Menschen, packt aber viele auch die Trauer um verpasste Gelegenheiten, Chancen oder Träume. Unser Gehirn als Gefahrensucher, konzentriert sich gerne auf diese Anlässe. Nicht vergessen, das Gehirn ist an Glück nicht interessiert und die Amygdala bietet sofort ein Potpourri an begleitenden Gefühlen:

  • Überforderung
  • Nicht loslassen können
  • Versagen
  • Schuld
  • Vorwürfe (an sich und/oder andere)
  • Begehrlichkeiten (das stand mir aber zu) und Ungerechtigkeiten
  • Ständige Fragen nach dem warum?
  • Vermissen
  • Mutlosigkeit
  • Selbstzweifel und verlieren

Ein kleines Experiment: Schütten Sie ein Glas Milch in den Abfluss. Versuchen Sie die Milch wiederzuholen?

„Ärgere nicht über verschüttete Milch.“ lautet ein amerikanisches Sprichwort. Birkenbihl fasst es etwas anders zusammen, Enttäuschung ist lediglich das Ende der Täuschung. Und fragt gleich unisono „Wer ist verantwortlich für Ihre Gedanken?“ Das Ende der Täuschung ist also das Ende der eigenen Gedanken, Wünsche und Hoffnungen. Und noch ein Gesetz: Shit happens. Krönchen richten und weiter geht es. Wie lange wollen Sie die Milch noch zurückholen? 

3b. Anstrengung

Wir geben uns nicht kampflos geschlagen, nun werden neue Pläne geschmiedet. Wie geht es weiter? Was genau ist zu tun? Ausgerechnet Ihr Rollercoaster ist ausweglos? Eine befreundete Psychologin brachte es mal auf den Punkt: „Es gibt immer einen anderen Weg!“ Die höheren Systemmanager übernehmen und es keimen leichte Hoffnung und Mut auf. Sollte der Weg gleich von Erfolg gekrönt sein, auf zu Punkt 6.

„Jetzt haben wir den Salat.“

4a. Sorge

So einfach lässt sich der sympathische Teil unseres Gehirns nicht mundtot machen und aktiviert Defcom 5 (im Original das Verteidigungsprogramm des amerikanischen Militärs – Defense readiness condition; Friedenszustand, mit Verteidigungsbereitschaft), das Sorgenprogramm. Langsam aber sicher mischt sich die Hoffnung mit einer Prise Selbstzweifel – wir haben kein Interesse an Glück. Die Zuversicht wankt, der Tatendrang schwindet, letztlich tritt die Armee der Sorgen auf, um uns vor Schlimmeren zu beschützen. Sollten Sie dennoch weiter handeln, auf zu Defcom 4 (Friedenszeit, erhöhte Aufklärung und erhöhte Sicherheitsmaßnahmen).

4b. Leugnung

Alle bisherigen Versuche haben auf Anhieb nicht geklappt, wusste der unsympathische Sympathikus doch. Schon so angestrengt und dennoch kein Licht am Ende des Tunnels. Nun wird es aber Zeit die veränderte Situation anzuerkennen. Verleugnung at it‘s best, Selbstrechtfertigung des Scheiterns oder anders ausgedrückt, schön reden: Die neue Situation ist auch gar nicht so schlecht, Veränderungen beleben das Leben, anderen geht es auch nicht besser… Wenn Sie sich weiterhin nicht abhalten lassen und vielleicht einfach die Strategie ändern, ist es spätestens Zeit für Defcom 3 (erhöhte Aufmerksamkeit und verschlüsselte Botschaften). 

4c. Wut

Die Amygdala ist wütend und zwar auf den Schuldigen. Trotz aller guten Absichten könnten noch keine Erfolge erzielt werden, jetzt reicht es unserem Gehirn. Das kann nicht an uns liegen, der Schutzmechanismen bahnt sich seinen Weg. Die ganze Wut wird auf einen oder mehrere andere konzentriert. Hinter all dem stecken böse Absichten, das System ist schuld, es ist eine Verschwörung im Gange… Sie weigern sich, einen anderen Schuldigen zu finden? Auf zu Defcom 2 (erhöhte Aufmerksamkeit und mobilisieren weitere Reserven)

4d. Aufgabe

Alle Versuche scheitern, weder Wut noch mehr Anstrengung helfen. Es ist ausweglos, wir kommen nie wieder auf die Beine. Die Tage sind grau und nutzlos, unser Gehirn verlangt die Kapitulation, damit wir endlich das tröstende Scheitern notieren können. Bei weiterer Hoffnung ist es Zeit für den ultimativen Gegenschlag, Defcom 1 (maximale Aufmerksamkeit, Einsatz aller Truppen).

4e. Depression

Das Duo-Infernale tritt auf, Selbstwert und Verlust. „Das kann nur an mir liegen.“ Eine gewisse Zeit halten die Systemmanager dieses Duo im Zaum, die Resilienz sorgt für Sicherheit, aber wie Rosenstolz schon in einem Lied titelte „Auch die stärkste Seele wird mal schwach“. Der Selbstwert fällt ins Bodenlose.

Bleibt dieser Zustand, könnte es eine pathologische Depression sein und sollte unbedingt mit fachkräftiger Hilfe bearbeitet werden.

„Der Hauptgang wurde serviert.“

5. Hoffnung

Als Gehirnbesitzer entscheiden wir selbst, ob wir zum Gehirnnutzer werden und aus dem Rollercoaster aussteigen. Wäre das Leben ein Kartenspiel, stechen Hoffnung und Glück, Wut und Angst. Also ran an die aktive Gehirnbenutzung, Konzentration auf die Lichtblicke und positiven Erlebnisse, sagen Sie ihrem Reptil den Kampf an. Nicht nur ein Plan A muss her, sondern auch B und C.

„Darf es noch etwas sein?“

6. Enthusiasmus

Auch der härteste Marathon wird von allen gemeistert, die das Ziel in Sicht haben. Manchmal tragen sogar die Kontrahenten sich gegenseitig über die Ziellinie. Das größte Potenzial zur Aufgabe, besteht im endlos erscheinenden Mittelteil. Die Anfangseuphorie ist Vergangenheit, der Weg unendlich lang und die unangenehmen Begleiterscheinungen mehr als deutlich.

Noch nicht mal der Körper ist bereit, jetzt schon bereit körpereigene Opiate zu produzieren, wo sind Endorphine eigentlich, wenn sie gebraucht werden?

Lösung, Ausweg und Erfolg sind in Sicht, alle Reserven werden mobilisiert. Ein zaghaftes Pflänzchen, genannt Enthusiasmus, bietet seine Unterstützung an. Endlich ist das Tal der Tränen überwunden.

„Ein kleiner Nachtisch.“

7a. Überwindung

Es ist geschafft, die Krise ist überstanden. Der Betroffene hat seine Katharsis durchlebt und ist daraus vielleicht sogar gestärkt hervorgegangen. Nicht wenige entwickeln dabei die vielbeschworene Resilienz.

„Cappuccino, bitte.“ Oder auf Hessisch: „Abbuzen, fertig.“

7b. Neuer Zyklus

Die größte Gefahr in dieser Achterbahn ist ein herber Rückschlag am Ende. Alles beginnt von vorn und trifft auf einen geschwächten Gegner.

Verdacht auf Lebensmittelvergiftung, rasch fachkundige Hilfe einholen. 

Ein paar Fakten:

Surprise, surprise: Selbstverständlich hat unser Gehirn noch weitere Gewürze zum Menü anzubieten. Ganz nach persönlicher Vorprägung, hält jeder Gehirnteil seinen eigenen Geschmacksverstärker bereit und so werden die Gänge wahlweise mit Verleugnung, großen Emotionen, Bearbeitung und Neudefinition präsentiert.

Zusammenfassend

Dieser Ablauf betrifft sowohl Fachkräfte wie auch Klienten, zum professionellen Arbeiten bietet es sich an, diese Abläufe bewusst zu machen und Szenarien und Maßnahmen zu entwickeln.

 

Titelbild Quelle: Foto von Liza Summer: https://www.pexels.com/de-de/foto/frau-in-blue-denim-jeans-die-auf-dem-boden-sitzt-6382626/

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