Published On: 24. August 2024Categories: Aktuelles, Soziale Arbeit

Ist unsere Gesellschaft toxisch?

„Toxisch“ – dieses Wort taucht mittlerweile überall auf, sei es in Gesprächen, sozialen Medien oder in der Berichterstattung. Ursprünglich aus der Toxikologie stammend, wurde es als Bezeichnung für giftige Substanzen verwendet. Heute beschreibt es häufig negative soziale Dynamiken oder schädliche Verhaltensweisen in zwischenmenschlichen Beziehungen und in der Gesellschaft insgesamt. Doch was bedeutet es wirklich, wenn wir behaupten, unsere Gesellschaft sei „toxisch“? Ist dies eine präzise Diagnose oder eine übersteigerte Metapher?

Die Verwendung des Begriffs „toxisch“ in einem sozialen Kontext verweist auf tieferliegende Probleme, die das kollektive Zusammenleben negativ beeinflussen können. Dabei geht es darum, dass soziale Normen und Verhaltensweisen als schädlich, ja gar zerstörerisch empfunden werden, wie etwa die wachsende Ungleichheit und die Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts (Matuschek, 2021) .

Kann eine Gesellschaft toxisch sein?

Die Idee einer „toxischen Gesellschaft“ lässt vermuten, dass soziale Strukturen und Normen, die das Verhalten und Wohlbefinden der Mitglieder einer Gesellschaft beeinflussen, tatsächlich schädlich sein können. Diese Vorstellung impliziert, dass die Institutionen und kulturellen Praktiken einer Gesellschaft das soziale und psychische Wohl ihrer Mitglieder beeinträchtigen könnten. Eine „toxische Gesellschaft“ wäre also eine, die systematische Ungerechtigkeit und soziale Isolation fördert, was zu einer tiefgreifenden Krise des Vertrauens und der sozialen Integration führen könnte (Pörksen, 2018) .

Jürgen Habermas‘ Gesellschaftstheorie, die die Kommunikation als Fundament der sozialen Integration betrachtet, bietet hier eine wichtige Perspektive. Er argumentiert, dass die Qualität der Kommunikation innerhalb einer Gesellschaft entscheidend für deren Kohäsion ist (Habermas, 1981) . Aber in einer Zeit, in der soziale Medien von „Hate Speech“ und Desinformation durchzogen sind, stellt sich die Frage, ob diese Form der Kommunikation nicht selbst toxisch ist. Wenn die Basis unserer Gesellschaft, die Kommunikation, vergiftet ist, wie gesund kann die Gesellschaft dann insgesamt sein?

Wie Gesellschaften sich gestalten und benennen

Gesellschaften werden nicht nur durch ihre inneren Dynamiken, sondern auch durch die Begriffe und Bezeichnungen geprägt, die ihnen zugeschrieben werden. Solche Begriffe wie „Wissensgesellschaft“ (Bell, 1973), „Informationsgesellschaft“ oder „Risikogesellschaft“ (Beck, 1986) reflektieren zentrale Elemente einer bestimmten Epoche, die als prägend für das gesellschaftliche Leben wahrgenommen werden.

Doch was ist das prägende Element unserer Zeit? Ist es tatsächlich „Toxizität“? Der inflationäre Gebrauch des Begriffs in den Medien könnte diesen Eindruck verstärken. Aber müssen wir diesen Begriff als Diagnose unserer Zeit akzeptieren, oder gibt es Wege, diese vermeintliche „Toxizität“ zu bekämpfen? Eine Rückbesinnung auf zentrale soziale Werte und eine bewusstere Kommunikation könnten der erste Schritt sein, um toxische Elemente in unserer Gesellschaft zu entschärfen (Schulze, 2020) .

Positive Sprache: Ein Gegenmittel zur Toxizität

Die Art und Weise, wie wir sprechen, prägt unsere Wahrnehmung und unser Verhalten. Positive Sprache hat das Potenzial, destruktive Muster zu durchbrechen und das soziale Klima zu verbessern. Studien zeigen, dass positive Kommunikation nicht nur das individuelle Wohlbefinden, sondern auch die kollektive Resilienz stärken kann (Meier & Stamer, 2019) . Wenn wir beginnen, mehr auf positive Formulierungen zu setzen und die konstruktiven Elemente des gesellschaftlichen Lebens hervorzuheben, können wir einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, eine „toxische“ Atmosphäre zu entschärfen.

Indem wir uns bewusst für positive Ausdrücke entscheiden, schaffen wir einen Raum für Dialog und Zusammenarbeit, in dem Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen erarbeitet werden können. Dies erfordert jedoch eine bewusste Anstrengung von Medien, Politik und Zivilgesellschaft, um einen positiven Diskurs zu fördern, der auf Lösungen und nicht auf Schuldzuweisungen fokussiert ist.

Die Rolle der Medien bei der Etablierung des „Toxischen“

Medien haben eine zentrale Rolle dabei, Begriffe und Narrative in der Gesellschaft zu etablieren. Der Begriff „toxisch“ hat durch die mediale Verbreitung Einzug in den Alltag gefunden, sei es in Bezug auf Beziehungen, Arbeitsumgebungen oder gesellschaftliche Strukturen (Eilert & Witte, 2019) . Diese Verbreitung ist jedoch nicht unproblematisch, da sie dazu führen kann, dass komplexe soziale Phänomene vereinfacht und als alarmierend dargestellt werden. Dies könnte dazu beitragen, dass die Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild der Realität erhält, das durch Angst und Polarisierung geprägt ist.

Medien dienen sowohl als Spiegel der Gesellschaft als auch als Verstärker von sozialen Problemen. Wenn sie den Diskurs dominieren und ein einseitiges, negatives Bild unserer sozialen Strukturen zeichnen, können sie die toxischen Elemente, die sie anprangern, sogar verstärken. Dies macht es umso wichtiger, dass Medien ihrer Verantwortung nachkommen, differenzierte und ausgewogene Berichterstattung zu liefern, die sowohl Probleme aufzeigt als auch Lösungen anbietet (Schulze, 2020) .

Toxische Medien: Ursache oder Symptom?

Sind die Medien selbst toxisch, oder reflektieren sie lediglich eine toxische Gesellschaft? Diese Frage lässt sich nicht einfach beantworten, da die Medien sowohl als Ursache als auch als Symptom fungieren können. Die Art und Weise, wie Themen in den Medien behandelt werden, kann dazu beitragen, toxische Diskurse zu fördern und zu verbreiten, insbesondere wenn sie auf Sensationsgier und Spaltung abzielen (Matuschek, 2021) .

Gleichzeitig spiegeln die Medien jedoch auch die sozialen Spannungen und Konflikte wider, die bereits in der Gesellschaft vorhanden sind. Daher ist es wichtig, die Dynamik zwischen Medien und Gesellschaft zu verstehen, um die toxischen Elemente zu identifizieren und zu entschärfen. Eine verantwortungsbewusste Medienarbeit, die sich auf differenzierte und lösungsorientierte Berichterstattung konzentriert, kann dazu beitragen, das gesellschaftliche Klima zu verbessern und toxische Tendenzen abzuschwächen (Pörksen, 2018) .

Vorbildfunktion

In einer Zeit, in der der Begriff „toxisch“ allgegenwärtig ist, tragen Medien und öffentliche Vorbilder eine besondere Verantwortung. Es liegt an ihnen, eine positive und konstruktive Rolle zu spielen. Medien sollten bemüht sein, differenzierte Berichterstattung zu liefern, die nicht nur Probleme beschreibt, sondern auch Lösungsansätze bietet. Dies kann dazu beitragen, ein gesellschaftliches Klima zu fördern, das auf Dialog und Zusammenarbeit basiert, anstatt auf Spaltung und Konfrontation (Schneider, 2019) .

Auch öffentliche Persönlichkeiten und Vorbilder aus Politik, Wirtschaft und Kultur tragen eine immense Verantwortung. Ihre Haltung und ihr Verhalten können als Orientierung für die Gesellschaft dienen. Wenn sie positive Werte wie Respekt, Empathie und Verantwortungsbewusstsein vorleben, setzen sie ein starkes Zeichen gegen toxische Verhaltensweisen und fördern ein konstruktives Miteinander. Ihre Vorbildfunktion kann einen erheblichen Einfluss auf das gesellschaftliche Klima haben und dazu beitragen, toxische Tendenzen zu überwinden (Lindenberg, 2017) .

Eine Idee

Der Begriff „toxisch“ hat sich zu einem mächtigen Werkzeug entwickelt, um gesellschaftliche Probleme zu benennen und zu diskutieren. Dennoch besteht die Gefahr, dass seine allgegenwärtige Nutzung soziale Phänomene überdramatisiert und simplifiziert. Eine kritische Reflexion über den Gebrauch des Begriffs und die Rolle der Medien ist daher unerlässlich.

Unsere Gesellschaft steht zweifellos vor Herausforderungen, die als „toxisch“ beschrieben werden könnten. Doch anstatt in einer Negativspirale zu verharren, sollten wir uns auf die positiven Potenziale konzentrieren. Medien und öffentliche Vorbilder können dabei eine Schlüsselrolle spielen, indem sie zu einem respektvollen, lösungsorientierten Diskurs beitragen und damit das gesellschaftliche Klima verbessern. Auf diese Weise können wir die „Toxizität“ in unserer Gesellschaft entschärfen und den Weg für ein gesünderes soziales Miteinander ebnen.

Bildquelle: Dale


Literaturangaben:

  • Beck, U. (1986). Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp.
  • Bell, D. (1973). Die nachindustrielle Gesellschaft: Ein Versuch über Sozialprognosen. Suhrkamp.
  • Eilert, M., & Witte, E. (2019). Medien und Gesellschaft: Eine Wechselwirkung. VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Habermas, J. (1981). Theorie des kommunikativen Handelns: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Suhrkamp.
  • Lindenberg, S. (2017). Vorbilder in der Gesellschaft: Werteorientierung und soziale Verantwortung. Campus Verlag.
  • Matuschek, O. (2021). Die toxische Gesellschaft: Wie wir uns gegenseitig vergiften. Duden Verlag.
  • Meier, K., & Stamer, D. (2019). Positive Sprache: Wirkung und Anwendung. Beltz Verlag.
  • Pörksen, B. (2018). Die Verantwortung der Medien in einer polarisierten Welt. Transcript Verlag.
  • Schneider, U. (2019). Macht und Moral in der modernen Gesellschaft. Reclam.
  • Schulze, P. (2020). Medienkompetenz und gesellschaftlicher Diskurs. Springer VS.

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