Published On: 12. Juli 2023Categories: Aktuelles, News

Yuval Noah Harari definierte im Homo Deus als die immer gleichen drei Probleme, die Menschheit zur Entwicklung bewegen bzw. als leitend angesehen werden:

Hunger/Krankheit/Krieg

In diesem Jahrtausend, lassen sich diese unkontrollierbaren Ängste größtenteils bewältigen. „Zum ersten Mal sterben Menschen eher, weil sie zu viel essen. Es sterben mehr Menschen an Altersschwäche, denn an ansteckenden Krankheiten.“  (Harari 2015, S. 10)

Mit dieser Erkenntnis steht er nicht allein, die Gesellschaftswissenschaften fragen sich, welche Probleme nun diese Fragestellungen ersetzen. Momentan wäre eine mögliche Antwort sicherlich die Energiekrise.

Für einen erweiterten Antwortentwurf müssen zunächst die drei traditionellen Probleme differenziert werden:

Die biologische Armutsgrenze (Harari 2015, S. 15-16) – Hunger

In den meisten Ländern ist das schlimmste Problem, dass die Menschen zu viel und ungesund essen.

2014     

2.1 Mrd. Menschen sind übergewichtig

850 Mio. leiden an Unterernährung

2030

Wird prognostiziert, dass 50% der Menschen an Übergewicht leiden.

2010

1 Mio. Menschen sind an Unterernährung gestorben

3 Mio. Menschen sind an Fettleibigkeit gestorben

Seuchen und Krankheiten

2015

Der überwiegende Teil der Menschheit stirbt nicht an ansteckenden Krankheiten.

Kriege (Harari 2015, S. 26)

In der Agrargesellschaft (vor dem 20Jhd.) war menschliche Gewalt für 15% der Todesfälle verantwortlich, im 21. Jhd. sind es weniger als 1%.

2012

Starben weltweit 56 Mio. Menschen, davon 620.000 an menschlicher Gewalt, davon

120.000 durch Krieg und 500.000 durch Kriminalität

800.000 begingen Selbstmord

1.5 Mio. starben an Diabetes

Eine solche Wandlung der traditionellen Problematiken wird als mögliches Vakuum in der Geschichte bezeichnet, allerdings „duldet“ die Geschichte in der Regel kein Vakuum. Wenn alle diese Probleme beherrschbar sind, was wird die Lücke schließen?

Als mögliche Idee bietet sich das ökologische Gleichgewicht als „planetarisches“ Ziel an. Menschlich verweist er auf zwei Ziele:

  1. Menschen in Götter zu verwandeln, Homo Sapiens in Homo Deus oder
  2. schlichtweg den Tod heraus zu zögern oder zumindest ewige Jugend technisch und medizinisch zu ermöglichen.

Da hier allerdings ein gewisser Restzweifel besteht, ob und wann der Homo Deus Umsetzung erfährt, wird Glück frei nach Epikur als Zweck des Lebens und Ziel des Einzelnen erklärt. Wer sucht denn nun das Glück, der oder die Einzelnen oder der Staat?

Der Staat auf der Suche nach dem Glück

„Moderne Denker betrachten es eher als kollektives Projekt. Ohne staatliche Planung, wirtschaftliche Ressourcen und wissenschaftliche Forschung werden Individuen bei ihrer Suche nach Glück nicht weit kommen.“ (Harari 2015, S. 100)

Jeremy Bentham dachte weiter und definierte (Ende des 18. Jahrhunderts) das größte Glück der größten Zahl, folglich wäre das einzige Ziel von Staat, Markt und der wissenschaftlichen Gemeinschaft, das globale Glück zu steigern. „Politiker sollen für Frieden sorgen, Unternehmen sollten den Wohlstand mehren, und Wissenschaftler sollten die Natur erforschen…“ (Harari 2018, S. 49)

Lange Zeit (bis ins 20. Jahrhundert) waren die Hinwendung zu Bentham eher Lippenbekenntnisse der Politiker. Systeme waren eher darauf ausgerichtet, Nationen zu stärken und nicht das individuelle Wohlergehen zu sichern. Ähnlich war es mit dem Gesundheitssystem, es sollte die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Beteiligten sichern und nicht die persönliche Gesundheit fördern.

„Selbst das System des Wohlfahrstaates sollte ursprünglich den Interessen der Nation und weniger dem bedürftigen Individuum dienen. Als Otto von Bismarck Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland erstmals eine Alters- und Invaliditätsversicherung einführte, wollte er damit vor allem die Loyalität der Bürger sicherstellen und nicht ihr Wohlergehen mehren. Man kämpfte für sein Land, wenn man 18 war, und man zahlte Steuern, wenn man 40 war, denn man zählte darauf, dass der Saat für einen sorgen würde, wenn man 70 war.“ (Harari 2015, S. 49)

Bruttoglücksprodukt

Stetig erlebt dieses Ansinnen eine Renaissance, manche Politiker plädieren sogar dafür, das Bruttoinlandsprodukt mithilfe eines Bruttoglücksprodukt zu ergänzen.

In einer Welt, in der Hunger, Krankheit und Krieg verschwinden, ein beispielloses Maß an Frieden und Wohlstand vorherrscht und die Lebenserwartung steigt, müssten die Menschen doch ohne weiteres Einwirken glücklicher sein. Der Anstieg der Selbstmordrate in führenden Wirtschaftsstaaten ist ein deutliches Indiz gegen diese Theorie.

Schattenpersönlichkeiten und die gläserne Glücksdecke

„Es hat den Anschein, als würde unser Glück gegen irgendeine rätselhafte gläserne Decke stoßen, die es ihm trotz all unserer beispielslosen Errungenschaften nicht ermöglicht, weiter zu wachsen. … Diese gläserne Decke des Glücks ruht auf zwei mächtigen Säulen, einer psychologischen und einer biologischen.“ (Harari 2015, S. 52)

Psychologie des Glücks

Psychologisch hängt Glück eher von Erwartungen als von objektiven Bedingungen ab. Einfach nur ein friedliches und komfortables Leben zu führen verschafft kein Glück, sondern hat die Erwartungen eklatant nach oben katapultiert.

Biologisch reagiert der Mensch nicht auf Ereignisse in der äußeren Welt, sondern auf Empfindungen im eigenen Körper. „Niemand leidet, weil er seinen Job verloren hat, … Arbeitslos zu werden kann ohne Zweifel eine Depression auslösen, aber die Depression als solche ist eine Form von unangenehmer körperlicher Empfindung. … Menschen macht nur eine Sache glücklich: angenehme Empfindungen im eigenen Körper.“ (Harari 2015, S. 54)

Das biochemische System ist darauf angelegt, immer mehr zu wollen. Das Gefühl einer Beförderung verschwindet rasch und kann „nur“ durch eine weitere Beförderung erreicht werden. Das biochemische System ist angelegt, dass es die Chancen auf Überleben und Reproduktion steigert, aber nicht auf Glück.

Zusammenfassend

Folglich können wir Glück nur „selber“ machen, indem wir unsere Gedanken wieder darauf ausrichten und die „Dinge“ in eine eigene Wertigkeit setzen. Klingt abgedroschen, sollte aber in den Gesellschafts- und Sozialwissenschaften in die eigene Reflexion eingebracht werden. Vielleicht ist es an der Zeit, die eigene gläserne Decke zu sichten und definieren. Wir können nichts „verschenken“, was wir nicht haben.

Titelbild Quelle: Foto von Pixabay von Pexels: https://www.pexels.com/photo/apartment-bed-carpet-chair-269141/

Teile diesen Artikel!